Kampf den Worthülsen
Als ich nach der Matura ein Praktikum in der Redaktion einer Lokalzeitung begann, bekam ich am ersten Tag ein Buch in die Hand gedrückt. Ein Buch, das mich nicht nur während dieses Jahres begleiten sollte. Es weckte meine Begeisterung für die deutsche Sprache, unterstützte mich während meines Studiums, meinen Tätigkeiten als Journalistin und Texterin und ist nicht zuletzt auch eine wertvolle Hilfe für mein laufendes Dissertationsprojekt. «Deutsch für Kenner – die neue Stilkunde» von Wolf Schneider, ursprünglich aus dem Jahr 1996 und mittlerweile in der x-fachen Auflage erschienen, lehrte mich vor allem eines: Gute Sprache basiert auf Logik, Eleganz und Verständlichkeit. Dementsprechend soll ein Text grammatisch korrekt, schön formuliert und inhaltlich nachvollziehbar sein.
Es ist nicht alles gut, was schön daherkommt. Oft dienen Floskeln Schreibenden zur Selbstdarstellung. Sie verstecken sich hinter Worthülsen, mit denen sie anderen zu imponieren versuchen. Nicht haben sie Angst davor, entlarvt zu werden, da sie nicht wirklich wissen, wovon sie reden.
Wer mit möglichst pompösen Worten möglichst wenig sagen will, für den ist das «halbautomatische Schnellformulierungssystem» nach Kühn/Walter (1985; in: Schneider 2006, S. 98) eine Fundgrube für inhaltsleere Floskeln, mit denen er unkritische Leser oder Zuhörerinnen beeindrucken oder einschüchtern kann. Sie wollen einen Test? Wählen Sie eine beliebige dreistellige Zahl und fügen Sie die entsprechenden Elemente aus der unten anstehenden Tabelle zu einem Satz zusammen. (Ein Beispiel mit der Zahl 763: «Die schlichte Notwendigkeit, gegen alle Widerstände die Kontinuität zu wahren.»)
Das halbautomatische Schnellformulierungssystem
0. Der unbedingte Wille | 0. hier und jetzt | 0. miteinander zu reden |
1. Das erklärte Ziel | 1. in aller Offenheit | 1. kraftvoll anzupacken |
2. Die selbstverständliche Pflicht | 2. gemeinsam miteinander | 2. noch vorn zu blicken |
3. Die geschichtliche Aufgabe | 3. zwischen gestern und morgen | 3. die Kontinuität zu wahren |
4. Die unerwartete Gnade | 4. ohne «Wenn» und «Aber» | 4. ganz bewusst deutsch zu sein |
5. Die tiefe Einsicht | 5. notfalls im Alleingang | 5. das Ziel anzustreben |
6. Die einfache Absicht | 6. gegen alle Widerstände | 6. letztlich allein zu sein |
7. Die schlichte Notwendigkeit | 7. ganz unmissverständlich | 7. das Ich vor das Wir zu stellen |
8. Die eindeutige Erkenntnis | 8. in Gut und Böse | 8. dem Vaterland zu dienen |
9. Die hohe Amtspflicht | 9. auch gegen den Zeitgeist | 9. ganz einfach oben zu bleiben |
Für Schreibende mit der Fähigkeit, etwas auf den Punkt zu bringen, sind inhaltsleere Formulierungen ein Graus. Ihnen auszuweichen, ist jedoch gar nicht so einfach. Gehaltvolle Texte erfordern Sachkenntnis, Zeit und Mühe. Aber vor allem auch Mut. Mut zur Einfachheit. Mut, sich zu zeigen und hin und wieder auch angreifbar zu machen.
Wer klare Botschaften hat, will sich nicht hinter Worthülsen verstecken. Er oder sie offenbart sich selbst, bringt seiner Leserschaft Wertschätzung entgegen – und drückt damit nicht zuletzt auch die Liebe zur Sprache aus.
Andrea Zimmermann
Literatur
Schneider, Wolf (2006): Deutsch für Kenner. Die neue Stilkunde, 3. Auflage, Piper Verlag München.